#56 | Coaching-Wahn und Coaching-Schwemme

Coaches für alle Lebenslagen gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. In Deutschland soll es mehr als 50.000 Coaches aller Art geben. Darunter allein 10.000 Business-Coaches. Da hat man als Internet-Unternehmer die Qual der Wahl:

  • Hmm, nehme ich den, der mir 10.000 Euro Umsatz in sechs Wochen verspricht? Wär doch gar nicht schlecht. So hätte ich meine Investition ganz schnell wieder reingeholt und das große Geldverdienen kann beginnen.

  • Vielleicht lieber den, der mein Mindset auf ungeahnte Höhen treiben will? Könnte auch nicht schaden. Ich hab da, glaube ich, noch so einige Schwächen in Sachen Motivation und Selbstvertrauen.

  • Oder doch besser den, der den absoluten Geheimtipp für das todsicherste Business aller Zeiten hat? Ist doch genau richtig: Gegen den Strom schwimmen. Weg vom Trend. Nicht das machen, was all die Loosermassen da draußen gerade auch machen.

Aber: Es soll ja jede Menge Scharlatane und Hochstapler in der Coaching-Szene geben! Woran erkenne ich einen guten Coach?

Vielleicht ist ja der Preis ein guter Ansatzpunkt. Wer es sich traut, vier- oder gar fünfstellige Summen pro Stunde zu fordern, muss auch was zu bieten haben. Und wenn man dann noch die ultrateuren Autos, Uhren und Immobilien in den Werbevideos sieht: Dieser Mensch hat es sowas von geschafft! Von dem kann man nur lernen. 

Okay, Spaß beiseite. Dieses Selbstgespräch ist natürlich reichlich übertrieben, oder? Die meisten Coaches treten seriöser auf, viele sind oft aber auch nicht kompetenter. Aber es verdeutlicht ein Problem: Wie finde ich einen menschlich und fachlich fähigen Coach?

Das ist tatsächlich gar nicht so einfach. Die Zahlen oben zeigen ja, wie groß die Zahl der Anbieter mittlerweile ist und es werden noch täglich mehr. Seit einiger Zeit ist sogar von einer richtiggehenden Coaching-Schwemme (auf Seiten der Anbieter) verbunden mit einem regelrechten Coaching-Wahn (auf Seiten der Kunden) die Rede.

Coaching-Wahn

Wir leben in ziemlich komplizierten Zeiten. Pandemie, Kriege, Wirtschaftsflaute, irrlichternde Politiker und die Angst vor dem, was noch so alles kommen könnte, zerren seit Jahren an unseren Nerven. Besserung ist nicht in Sicht. Die Unzufriedenheit wächst. Manche Menschen macht das aggressiv, andere eher depressiv. Uns fehlen der Halt und die Zuversicht daran, dass alles schon wieder irgendwie von alleine gut werden wird.

Einerseits fühlen wir uns hilflos, andererseits aber verspüren wir den Druck, selbst etwas (aus uns) machen zu müssen, wenn es denn schon andere nicht tun. Der Job ist nicht mehr sicher, der Kollege mental scheinbar stabiler, der Freund und Nachbar schon wieder im Traumurlaub, die Beziehung kriselt und der nächste Gang auf die Waage verheißt auch nichts Gutes. Die imaginäre Erfolgskarawane zieht weiter, ohne uns. Es muss sich dringend etwas ändern, im Job, im Leben, mental und finanziell.

Social-Media verstärkt alle diese Emotionen: Die Wut, die Angst, den Druck. Und dann sehen wir dort täglich auch noch das genaue Gegenteil: Zufriedene, selbstbewusste, erfolgreiche Menschen, die es trotz aller Widrigkeiten geschafft haben. Die alles im Griff haben. Und das Beste: Sie wollen uns an ihrem Erfolg teilhaben lassen. Das klingt, als wäre dies, auf einen Schlag, die Lösung all unserer Probleme. Meist verbunden mit dem Versprechen, das Ganze wäre gar nicht so schwer, vermitteln solche “Erfolgsmenschen” uns unterschwellig die Botschaft: Selbst Schuld an Deinem Elend! Was unseren inneren Handlungsdruck nur weiter erhöht.

und Coaching-Schwemme

Gleichzeitig war es nie einfacher, Coach zu werden. Früher nannten sich höchstens Unternehmensberater und Trainer von Führungskräften in der Wirtschaft Business-Coach und kassierten dafür horrende Honorare. Allerdings von Kunden, die es sich leisten konnten. Der Begriff Coach ist nicht geschützt, er bezeichnet keinen Berufsstand, für den Regeln gelten, wo Kompetenz über Ausbildung, Qualifikationen und/oder Prüfungen nachgewiesen werden muss. Jeder kann sich Coach nennen.

Mit dem Internet, den sozialen Medien und der Möglichkeit, Inhalte und vor allem Persönlichkeit rund um die Uhr in Sekundenbruchteilen auf jedes digitale Endgerät transportieren (und dafür kassieren) zu können, wurde sprichwörtlich die Büchse der Pandora geöffnet. Jeder selbsternannte Coach kann sich mit ein wenig Geschick der ganzen Welt präsentieren.

Die Branche selbst hat mit dem Coach-den-Coach-Trend der letzten Jahre einen gehörigen Anteil an der rasant steigenden Zahl von Coaches. Die “Erfolgsformel” dabei ist absolut simpel: Ich, als Coach, zeige Dir, wie Du ein Coach für Coaches wirst. Du musst einfach nur das Gleiche wie ich machen: Anderen zeigen, wie man ein Coach für Coaches wird. Dieses Schneeballsystem erzeugt meist völlig kompetenzlose Coach-Klone fast im Minutentakt.

Ein überbordender Bedarf trifft auf ein lawinenartig wachsendes Überangebot. Zusammen erzeugen sie die perfekte Coaching-Schwemme. Es gibt nichts, was es sich nicht zu coachen lohnt und keinen, der nicht irgendeinen Coaching-Bedarf verspürt. Selbst der demokratische Vizepräsidenten-Anwärter in den USA wird als “Coach Walz” vermarktet.

Oh, man. Dieser Spotlight klingt ein wenig negativ, oder? Aber so will ich es nicht verstanden wissen! Ich finde es gut und richtig, wenn sich Menschen bei Problemen professionelle Hilfe suchen. Das ist besser als den Kopf in den Sand zu stecken und zu resignieren. Nur sollte eine solche “Hilfe” die Probleme, finanziell und/oder mental, nicht noch verschlimmern, indem sie dem verunsicherten Menschen Hilfe nur vorgaukelt, egal, ob aus gieriger Absicht oder absoluter Inkompetenz.

Es gibt auf dem Markt eine Vielzahl an wirklich seriösen Coaches und Trainern, mit hervorragendem Fachwissen und langjähriger Erfahrung. Es ist bei dem ganzen Marktgeschrei da draußen nur nicht leicht, diese zu finden. Und leider lockt uns unser emotionales Erbe manchmal in diese “Schnell-und-einfach”-Falle.

Aber, und das ist doch noch etwas Positives zum Schluss: Es ist möglich, aus dem ganzen Überangebot den passenden Coach zu finden! Im nächsten Spotlight zeige ich Euch anhand einer Checkliste, wie das geht.